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Katze reist 170 Kilometer weit

Eine Katze stieg in Grenzach (D) in einen DHL-Lieferwagen und fuhr bis nach Wolfhalden.

In Wolfhalden lag der erste Schnee des Winters als Andreas Züst die Katze zum ersten Mal sah. Im halblangen Fell hingen Eiszapfen, als sie Ende November vor der Tür des Nachbarn sass und Einlass verlangte. Da dort jedoch bereits zwei Katzen wohnten, nahm Andreas Züst die schildpattfarbene Fremde bei sich auf. Er erzählt: «Sie war eine edle, wirklich schöne und vor allem liebe Katze. Ich nannte sie Lucky, denn bei dem Wetter hatte sie Glück gehabt.» Andreas Züst wohnt etwas ausserhalb von Wolfhalden, zwischen Wiesen und Wäldern. In der Nähe wohnen viele Katzen, aber Lucky war anders. Anwohner erzählten Züst, dass sich Lucky erst seit etwa zwei Monaten in Wolfhalden herumtrieb. Sie schien keinen Besitzer zu haben. «Ich vermute, Lucky hat in einer Scheune in der Nähe gewohnt und, als es kalt wurde, einen neuen Platz gesucht.» Andreas Züst richtete im geschützten Vorraum seines Hauses eine Höhle mit Schaffell ein. Lucky verbrachte dort die Nacht, genoss den Zmorge, den Züst ihr servierte und verschwand wieder im Schnee. Gegen Nachmittag kam sie zurück. Am zweiten Tag brachte Züst die Katze beim pensionierten Tierarzt Johannes Enz vorbei. Dieser meinte, das Büsi sei gesund, jedoch nicht gechipt. Daraufhin meldete Züst die Katze online in der Tiermeldezentrale Schweiz und verteilte Flyer bis nach Heiden. Ursprünglich ging er von einem Radius von 25 Kilometern aus. Mit einem Anruf aus dem 170 Kilometer entfernten Grenzach / Deutschland hatte er nicht gerechnet.

 

Am Abend meldete sich eine junge Frau aus Deutschland. Sie sei überzeugt, dass Lucky ihre Katze Mia sei. Mia, zu drei Vierteln eine Maine Coon war über ein Jahr zuvor verschwunden. Züst war zuerst misstrauisch: „Auf der Website der Tiermeldezentrale gibt es so viele Katzen, die ähnlich aussehen. Und wie kommt eine Katze von Grenzach nach Wolfhalden?“ Durch den Austausch von Fotos und Videos konnten sie Lucky jedoch eindeutig als Mia identifizieren. Ihre Besitzer leben in der Nähe eines Industriegebiets, in dem die DHL ein grosses Logistikzentrum zur Belieferung der Schweiz betreibt. So könnte Lucky den Weg nach Wolfhalden gefunden haben, vermutet Züst. „Ich hatte etwa zwei Monate vorher eine Sauna durch einen Lastwagen der DHL geliefert bekommen. Ich kann mir vorstellen, dass die Katze da mitfuhr.“ Doris Huber vom Appenzeller Tierschutzverein sagt, dass das gut möglich sei. „Katzen sind unglaublich neugierig. Es kommt immer wieder vor, dass sie bei Handwerkern oder Lieferanten unbemerkt einsteigen.“ Schon der Weg über einige Gemeindegrenzen könne dann zu lange und zu gefährlich sein, als dass die Katze wieder nach Hause finde. Doris Huber rät, seine Katze chippen zu lassen. Die deutsche Besitzerin holte ihre Katze am nächsten Tag ab. Andreas Züst sagt: „Obwohl sie nur ein paar Tage bei mir war, wurde ich etwas wehmütig beim Abschied. Wir haben uns einfach gut verstanden.“ 


Auszug aus einem Artikel von Selina Schmid im St.Galler Tagblatt vom 13. Januar 2022 (gekürzte
Fassung).